Erklärvideos im Unterricht: Didaktische Tipps und Praxisbeispiele
Oktober 28, 2025
Ob Mathematik, Medizin oder Medienwissenschaft – Erklärvideos sind längst fester Bestandteil moderner Lehre. Sie ermöglichen Studierenden, komplexe Themen visuell, zeitunabhängig und individuell zu verstehen. Doch nicht jedes Video führt automatisch zu besserem Lernen.
Die Kunst liegt darin, didaktisch durchdachte Videos zu gestalten, die kognitiv entlasten, Interesse wecken und nachhaltiges Verständnis fördern.
Studien der Universität München (2024) und der OECD Education Report (2025) zeigen: Lernende behalten Inhalte aus gut strukturierten Erklärvideos bis zu 35 % länger im Gedächtnis als aus rein textbasierten Materialien.
Was sind Erklärvideos?
Erklärvideos sind multimediale Lernformate, die Sachverhalte visuell und auditiv aufbereiten. Sie kombinieren Text, Sprache, Bild, Animation und Ton zu einer kohärenten Lerneinheit.
Ziel: Komplexe Informationen einfach, verständlich und ansprechend vermitteln.
Typische Formate:
- Whiteboard-Videos: Handgezeichnete Skizzen mit Sprecherstimme (z. B. SimpleShow).
- Screencasts: Bildschirmaufnahmen mit Kommentaren (z. B. Software-Tutorials).
- Animationen: Bewegte Illustrationen zur Visualisierung abstrakter Prozesse.
- Talking-Head-Videos: Dozierende erklären Themen direkt vor der Kamera.
Warum Erklärvideos im Unterricht sinnvoll sind
Erklärvideos fördern aktives und selbstgesteuertes Lernen.
Forschung der ETH Zürich (2023) zeigt, dass visuelle und auditive Kanäle das Verständnis komplexer Inhalte erheblich verbessern.
Zentrale Vorteile:
- Zeitliche und räumliche Flexibilität: Lernende bestimmen Tempo und Zeitpunkt selbst.
- Kognitive Entlastung: Animationen und Erzählstimme unterstützen Dual-Coding-Prozesse.
- Motivation: Kurzvideos mit klarer Struktur halten Aufmerksamkeit besser als lange Vorträge.
- Individualisierung: Lernende können Sequenzen wiederholen oder überspringen.
- Nachhaltigkeit: Lehrende können Erklärvideos mehrfach in Kursen oder MOOCs einsetzen.
Didaktische Prinzipien beim Einsatz von Erklärvideos
Erfolgreiche Erklärvideos basieren auf kognitionspsychologischen Modellen wie der Cognitive Theory of Multimedia Learning (Mayer, 2024). Sie kombinieren klare Struktur, visuelle Klarheit und erzählerische Elemente.
| Didaktisches Prinzip | Beschreibung | Anwendung im Video | 
|---|---|---|
| Segmentierung | Der Lerninhalt wird in kurze, überschaubare Abschnitte unterteilt, um Überforderung zu vermeiden. | Ein Video pro Kernthema; jedes Segment dauert maximal 6–7 Minuten. | 
| Kohärenz | Unnötige Informationen, Musik oder Effekte werden weggelassen, um den Fokus zu halten. | Verzicht auf dekorative Elemente; klare visuelle Struktur ohne Ablenkung. | 
| Multimodales Lernen | Visuelle und auditive Reize werden kombiniert, um beide Kanäle des Gehirns zu aktivieren. | Erklärende Stimme synchron mit animierter Grafik oder Text-Highlighting. | 
| Personalisierung | Eine natürliche, persönliche Ansprache fördert Motivation und Aufmerksamkeit. | Direkte Ansprache („Sie“ oder „du“) mit freundlichem Sprechtempo. | 
| Signalgebung | Wichtige Informationen werden visuell hervorgehoben, um Orientierung zu erleichtern. | Verwendung von Farben, Pfeilen, Zooms oder Markierungen zur Betonung zentraler Punkte. | 
| Aktivierung | Lernende werden durch Interaktion oder Reflexion aktiv in den Lernprozess einbezogen. | Zwischenfragen, kleine Quizze oder Aufgaben zum Mitdenken einbauen. | 
🎯 Tipp: Qualität zählt mehr als Technik. Ein einfaches, gut strukturiertes Video wirkt stärker als ein aufwendig produziertes, aber unübersichtliches.
Planung und Struktur eines Erklärvideos
Schritt 1: Ziel definieren
Was sollen Lernende nach dem Video verstehen oder anwenden können?
Schritt 2: Drehbuch erstellen
Kurze, prägnante Sätze, aktive Sprache und klare Beispiele.
Schritt 3: Storyboard visualisieren
Skizzieren Sie den Ablauf – jede Szene sollte eine Botschaft enthalten.
Schritt 4: Aufnehmen und schneiden
Achten Sie auf gute Tonqualität und langsame Erzählgeschwindigkeit.
Schritt 5: Untertitel und Quellen hinzufügen
Barrierefreiheit und akademische Integrität sind Pflicht.
Digitale Tools für Erklärvideos
| Tool / Plattform | Funktion | Besonderheit | 
|---|---|---|
| Explain Everything | Interaktives Whiteboard zur Erstellung animierter Erklärvideos. | Ideal für digitale Vorlesungen und Gruppenarbeiten. | 
| Camtasia | Screenrecording mit professionellem Schnitt und Annotation. | Geeignet für Screencasts, Software- und Lehrvideos. | 
| Powtoon | Webbasiertes Tool für animierte Videos mit Vorlagen. | Anschauliche Animationen, kein Designwissen erforderlich. | 
| Canva Video Editor | Einfache Videoproduktion mit Grafiken, Text und Musik. | Ideal für Social-Media-Formate und didaktische Kurzvideos. | 
| Loom | Videoaufnahmen mit Webcam und Bildschirm gleichzeitig. | Perfekt für persönliche Erklärungen oder Feedback-Videos. | 
| OBS Studio | Open-Source-Software für professionelle Aufnahmen. | Flexibel, kostenlos, ideal für Hochschullehre. | 
Forschungsergebnisse (2023–2025): Was wirkt wirklich?
| Studie / Institution | Zentrale Erkenntnis | Jahr | 
|---|---|---|
| OECD Education Report | Lernende mit kurzen, modularen Erklärvideos zeigen 40 % bessere Wissensbehalte. | 2025 | 
| Universität München | Multimediale Erklärvideos fördern Problemlösefähigkeit in MINT-Fächern. | 2024 | 
| ETH Zürich – Digital Learning Lab | Animationen unterstützen die mentale Modellbildung komplexer Prozesse. | 2023 | 
| Stanford University | Personalisierte Ansprache im Video steigert Engagement und Lernerfolg. | 2025 | 
| Humboldt-Universität zu Berlin | Videos mit Reflexionsphasen fördern kritisches Denken messbar stärker. | 2024 | 
Häufige Fehler bei Erklärvideos
| Fehler | Beschreibung | Didaktische Lösung | 
|---|---|---|
| Zu lange Videos | Lernende verlieren nach 7–10 Minuten die Aufmerksamkeit. | Videos in kurze, thematisch fokussierte Segmente gliedern. | 
| Überladene Folien | Zu viele Texte, Farben oder Animationen führen zu kognitiver Überforderung. | Reduktion auf Kernaussagen, klare visuelle Struktur. | 
| Fehlende Aktivierung | Lernende bleiben passiv, wenn keine Interaktion vorgesehen ist. | Quizfragen oder kurze Reflexionsaufgaben integrieren. | 
| Schlechte Tonqualität | Rauschen oder unverständliche Sprache mindern Konzentration. | Externe Mikrofone und ruhige Aufnahmesituationen nutzen. | 
| Keine Quellenangaben | Fehlende Zitierung gefährdet akademische Integrität. | Am Ende des Videos Literatur- und Bildquellen einblenden. | 
Didaktische Einsatzmöglichkeiten
- Flipped Classroom: Lernende sehen Videos vor der Präsenzveranstaltung, um Wissen im Seminar zu vertiefen.
- Projektarbeit: Studierende erstellen selbst Erklärvideos zu Fachthemen.
- Peer Learning: Videos werden in Gruppen reflektiert und verbessert.
- Barrierefreiheit: Untertitel und Transkripte ermöglichen inklusives Lernen.
- Feedback-Kultur: Dozierende nutzen Videos zur individuellen Rückmeldung.
💬 Beispiel: An der Universität Leipzig (2024) produzieren Studierende in Lehramtskursen eigene Erklärvideos zu Didaktikthemen – mit deutlichem Kompetenzzuwachs im Bereich Medienbildung.
Lernen sichtbar machen
Erklärvideos sind mehr als nur ein Trend – sie sind eine Brücke zwischen Didaktik und Technologie. Richtig eingesetzt, unterstützen sie individuelles, reflexives und nachhaltiges Lernen.
Für Lehrende bedeutet das:
- Inhalte didaktisch strukturieren,
- visuelle und auditive Reize gezielt kombinieren,
- Lernende aktiv einbeziehen.
Für Studierende:
- Videos nicht nur konsumieren, sondern analysieren, kommentieren, reflektieren.
So werden Erklärvideos zu Werkzeugen des Denkens – nicht bloß zur Unterhaltung.