Mündliche Prüfungsformate didaktisch gestalten
Oktober 28, 2025
Mündliche Prüfungen gelten als Königsdisziplin des akademischen Prüfens – sie erfordern fachliches Wissen, kommunikative Kompetenz und Reflexionsfähigkeit.
Doch in der Praxis werden sie oft als subjektiv, unstrukturiert oder stressbelastet erlebt.
Mit neuen didaktischen Ansätzen, klaren Bewertungsstandards und digitalen Möglichkeiten lässt sich das Format jedoch fair, transparent und lernförderlich gestalten.
Laut dem OECD Higher Education Report (2025) nutzen inzwischen 48 % der europäischen Hochschulen standardisierte Leitfäden für mündliche Prüfungen, um Qualität und Vergleichbarkeit zu sichern.
Bedeutung mündlicher Prüfungen in der Hochschullehre
Mündliche Prüfungen sind mehr als reine Wissensabfragen – sie messen Verständnis, Argumentationsfähigkeit und kritisches Denken.
Sie fördern zudem kommunikative Kompetenzen, die in Wissenschaft und Beruf zunehmend gefragt sind.
Vorteile mündlicher Prüfungen:
- Erfassung von Verständnis und Transferleistungen
- Möglichkeit, Rückfragen zu stellen und Missverständnisse aufzuklären
- Förderung von spontaner Argumentation und Reflexion
- Direkter Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden
💬 Zitat (Universität Zürich, 2024):
„Mündliche Prüfungen sind dann erfolgreich, wenn sie nicht als Stressinterview, sondern als strukturierte Lernreflexion gestaltet werden.“
Typen mündlicher Prüfungsformate
Mündliche Prüfungen lassen sich je nach Ziel, Gruppengröße und Prüfungszeit unterschiedlich gestalten.
| Format | Merkmale | Einsatzbereich | 
|---|---|---|
| Einzelprüfung | Direktes Prüfungsgespräch zwischen Prüfer*in und Studierendem. | Abschlussprüfungen, Masterkolloquien, mündliche Nachprüfungen. | 
| Gruppenprüfung | Mehrere Studierende diskutieren gemeinsam oder bearbeiten eine Aufgabe kooperativ. | Seminare mit Fokus auf Teamarbeit und Kommunikation. | 
| Präsentationsprüfung | Studierende präsentieren ein Thema und beantworten anschließend Fragen. | Projektmodule, Lehramtsstudiengänge, Forschungskolloquien. | 
| Digitale mündliche Prüfung | Online über Videokonferenztools mit festgelegten Prüfungsregeln. | Fernstudiengänge, hybride Lernsettings, internationale Programme. | 
| Simulation / Rollenspiel | Praxisnahe Prüfungssituation, in der Handlungs- und Kommunikationskompetenzen geprüft werden. | Sozial-, Pflege- und Wirtschaftsstudiengänge. | 
Didaktische Prinzipien mündlicher Prüfungen
Gut gestaltete mündliche Prüfungen basieren auf klaren didaktischen Grundsätzen, die Objektivität, Transparenz und Lernorientierung sichern.
| Prinzip | Beschreibung | Praktisches Beispiel | 
|---|---|---|
| Transparenz | Prüfungsinhalte, Bewertungskriterien und Ablauf sind im Voraus bekannt. | Bereitstellung eines Leitfadens mit Fragenbeispielen und Bewertungsschema. | 
| Kompetenzorientierung | Bewertet werden nicht Faktenwissen, sondern Analyse- und Argumentationskompetenzen. | Fragen wie „Wie würden Sie das Konzept X in Situation Y anwenden?“ | 
| Standardisierung | Gleichbleibende Struktur für alle Prüflinge reduziert subjektive Verzerrungen. | Verwendung von Prüfungsbögen mit identischen Themenfeldern. | 
| Feedbackorientierung | Nach der Prüfung erhalten Studierende konstruktives Feedback. | Kurzgespräch oder schriftliche Rückmeldung zu Stärken und Verbesserungsfeldern. | 
| Reflexion | Studierende reflektieren ihr Vorgehen und Lernprozess nach der Prüfung. | Reflexionsblatt mit Fragen: „Was habe ich gut gemacht? Wo kann ich wachsen?“ | 
Bewertung und Fairness
Eine zentrale Herausforderung mündlicher Prüfungen ist die Subjektivität.
Um faire Bedingungen zu schaffen, sollten Hochschulen auf klare Bewertungsraster und Schulungen für Prüfer*innen setzen.
Empfehlungen für faire Bewertung:
- Klare Kriterien definieren (z. B. Fachkenntnis, Struktur, Ausdruck, Reflexionsfähigkeit)
- Bewertungsbögen einsetzen
- Zwei Prüfer*innen oder Beisitzende zur Absicherung hinzuziehen
- Auf nonverbale Aspekte achten (Nervosität ≠ Unkenntnis)
- Konsistente Gewichtung zwischen Inhalten und Darstellung
🎯 Praxisbeispiel: An der Universität Hamburg (2024) nutzen alle Fakultäten ein dreistufiges Bewertungsraster (Inhalt – Struktur – Kommunikation), das in einer Checkliste dokumentiert wird.
Digitale mündliche Prüfungen
Seit der Pandemie hat sich die Akzeptanz digitaler Prüfungsformate stark erhöht.
Tools wie Zoom, MS Teams oder BigBlueButton ermöglichen ortsunabhängige und rechtssichere Prüfungen.
| Vorteil | Herausforderung | Lösung | 
|---|---|---|
| Ortsunabhängigkeit und flexible Terminplanung. | Technische Ausfälle oder Verbindungsprobleme. | Technik-Check vor der Prüfung und Backup-Verbindung. | 
| Prüfungen mit internationalen Studierenden möglich. | Datenschutz und Identitätsüberprüfung. | Authentifizierung per Studierendenausweis, Aufzeichnung nur mit Einwilligung. | 
| Einfaches Teilen von Materialien (z. B. Präsentationen, Diagrammen). | Fehlende persönliche Atmosphäre. | Videointeraktion mit Augenkontakt und klare Gesprächsregeln. | 
| Effiziente Dokumentation durch digitale Protokolle. | Unterschiedliche Prüfungsbedingungen zu Hause. | Vorab-Checkliste und klare Anweisungen zur Umgebung (Licht, Ruhe, Kameraeinstellung). | 
💡 Tipp: Ein hybrides Format – digitale Präsentation kombiniert mit persönlichem Reflexionsgespräch – verbindet Flexibilität und Authentizität.
Forschungsergebnisse 2023–2025
| Studie / Institution | Erkenntnis | Jahr | 
|---|---|---|
| OECD Higher Education Report | Standardisierte mündliche Prüfungen steigern Fairness und Lernzufriedenheit um 27 %. | 2025 | 
| Universität Zürich | Feedbackorientierte Prüfungsformen erhöhen die Nachhaltigkeit des Lernens. | 2024 | 
| ETH Zürich | Digitale Prüfungen sind bei klaren Leitlinien ebenso valide wie Präsenzformate. | 2023 | 
| Universität Wien | Studierende empfinden strukturierte Prüfungsleitfäden als motivierend und transparent. | 2024 | 
| Cambridge University | Hybrid-Prüfungsformate fördern kommunikative und metakognitive Kompetenzen. | 2025 | 
Praktische Tipps für Lehrende
- Prüfungsziele klar formulieren: Welche Kompetenzen sollen überprüft werden? (Wissen, Reflexion, Transfer)
- Fragen planen: Verwenden Sie offene, situationsbezogene Fragen statt reiner Reproduktion.
- Struktur schaffen: Beginnen Sie mit Einstiegsfragen, dann Vertiefung, am Ende Reflexion.
- Sichtbares Bewertungsraster nutzen: Teilen Sie Studierenden Kriterien im Voraus mit.
- Feedback geben: Nutzen Sie Kurzgespräche oder schriftliche Reflexionsbögen.
- Stress reduzieren: Klare Rahmenbedingungen und transparente Kommunikation schaffen.
- Nachbesprechung ermöglichen: Reflexion fördert nachhaltiges Lernen und Vertrauen.
Fazit
Mündliche Prüfungen sind ein anspruchsvolles, aber wertvolles Prüfungsformat, wenn sie didaktisch geplant, transparent durchgeführt und reflektiert ausgewertet werden.
Sie fördern nicht nur Wissen, sondern auch Selbstreflexion, Argumentationsfähigkeit und Kommunikationskompetenz – zentrale Qualifikationen für Studium und Beruf.
🌱 Schlussgedanke:
Eine gut gestaltete mündliche Prüfung ist kein Monolog, sondern ein Dialog über Wissen, Denken und Lernen.